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„Unbelievable“ – eine Netflix Serie über Vergewaltigungen

„Unbelievable“ ist die erste Serie seit längerer Zeit, die mich nicht losließ, bis ich sie zu Ende geschaut hatte. Dieser Effekt hängt unter anderem damit zusammen, dass mein professionelles Interesse als Psychotherapeutin geweckt wurde. Bei Filmen und Serien über sexuelle Gewalttaten entsteht bei mir immer die Frage, ob das Geschehen angemessen und differenziert dargestellt wird, was leider oft nicht der Fall ist. Hier aber werden überzeugend, ausführlich, manchmal schmerzhaft genau die Folgen von Vergewaltigungen als ein ganzes System von Wirkungen spürbar gemacht. Dazu gehören die Unentrinnbarkeit der Situation, von einem Mann in der eigenen Wohnung zu sexuellen (und anderen) Handlungen gezwungen zu werden, die Flashbacks derer, die dies erlebt haben, die Hilflosigkeit der Angehörigen und Ärzte, das Gefangensein der Ermittler in ihrem Arbeitsumfeld und in ihren Prägungen und die toxische Auswirkung auf die gesamte Lebensgestaltung der betroffenen Frauen. Alles wird ruhig und zugleich aufwühlend erzählt und eröffnet so die Möglichkeit, in das Erleben aller Beteiligten einzutauchen und die Komplexität der Wirklichkeit rund um eine solche Tat erfahrbar zu machen.

Vielleicht ist ein Baustein für die beschriebene Wirkung, dass die Serie auf einer preisgekrönten Reportage beruht und dieser reale Hintergrund fast genau übernommen wird. Wichtiger aber scheint mir zu sein, dass die Serie weitestgehend auf die Tätersicht verzichtet, sie taucht weder in Kameraführung noch in Motivationserzählungen auf. Damit kommt man einem psychotherapeutischen Standpunkt recht nahe, denn eine Behandlung eines solchen Traumas verlangt, der Patientin (es sind meist Frauen) konsequent zur Seite zu stehen und dem Täter nur so weit in den Behandlungsprozess Einlass zu gewähren, wie es stabil (für beide Seiten) aushaltbar ist. Die Serie geht sogar so weit, dass die Körper der Frauen nur ausschnittweise in Fotos oder in den Flashbacks zu sehen sind, der Täter aber, als er sich in der Haft untersuchen lassen muss, quälend lange vollständig nackt zu sehen ist.

Lange im Kopf bleiben auch die beiden Ermittlerinnen, eine Anfängerin, gläubige Christin und Mutter mit einer eher sanfter Herangehensweise und eine härtere und erfahrene Polizistin mit Beziehungsproblemen. Sie zeigen unterschiedliche Weisen des Umgangs mit den vergewaltigten Frauen, den Verdächtigen, dem sozialen Umfeld und dem Täter. Damit wird ein Spektrum eröffnet an Wut, Einfühlung, Sanftheit, Betroffenheit, Herumwühlen, Hilflosigkeit und Gewalt und nichts davon wird als die einzig wahre Vorgehensweise hervorgehoben – eine Erfahrung, die das Blickfeld erweitert und das psychotherapeutische Handeln bereichern kann.

Die Serie kann man derzeit bei Netflix (Trailer hier) streamen (monatliche Kündigungsfrist) und die Reportage dazu ist hier zu finden.