Amokläufer und rassistische Attentäter sind 2020 aus unserer Lebensrealität nicht mehr wegzudenken und ihr tiefer Hass ist Gegenstand vieler Erklärungsversuche. Der hier empfohlene Vortrag aus der Reihe „Rätsel des Unbewussten“ stellt sich dem Thema zwar vom Individuellen ausgehend und konsequent psychoanalytisch, einiges davon kann durchaus auch auf soziale Prozesse übertragen werden.
Ruhig und differenziert nähert sich Jakob Müller dem Gegenstand, indem er die übereinstimmend zu findenden Kennzeichen der malignen Narzissmus anschaulich und gut verständlich darstellt. Sadismus, Despotismus, Machiavellismus, Charme und Charisma sowie Paranoia sind die Eckpunkte der Beschreibung, und in diesen Ausführungen wird oftmals auf die Art der Beziehungsgestaltung eingegangen, die dieser Persönlichkeitsstörung eigen ist. Konsequent intersubjektiv betrachtet ist im sadistischen Verhalten ein Rest an Empathie zu erkennen: das Leid des anderen wird genossen, was zugleich auch bedeutet, dass es seelisch wahrgenommen wird (im Unterschied zur Psychopathie, wo andere Menschen nur Objekte sind). Despotisch sein bedeutet über andere zu herrschen, um sich keinesfalls von diesen beherrschen zu lassen, im Machiavellismus steckt eine Totalablehnung der Bedeutung des anderen (gut ist nur das, was mir nützt). Charme und Charisma dienen dazu, durch gewinnenden Umgang mit anderen die eigene riesige Sehnsucht nach Bewunderung zu stillen und in der Paranoia wird auf der Basis von mangelndem Vertrauen und anknüpfend an eigene Misserfolge und Kränkungen die Schuld dafür bei anderen gesucht, bei Einzelnen, Gruppen, Organisationen bis hin zu wahnhaften Erklärungssytemen.
Unerträgliche Leere und Sinnlosigkeit bestimmen die Innenwelt beim malignen Narzissmus, sie wird versucht mit Erfolgen auf verschiedenen Ebenen zu füllen und sie ist ein Einfallstor für Weltanschauungen, die diese vermeintlich füllen sollen. Das Gefühl zu kurz gekommen zu sein ist übermächtig, daraus resultiert ein Hass auf alles Schwache (soziale Randgruppen, Frauen, Kinder, Tiere u.a.), also auch auf Schwaches in einem selbst. Als zentral in den psychodynamischen Überlegungen wird dieser Selbsthass angesehen, resultierend aus frühen Beziehungserfahrungen, in denen Missachtung und Entwürdigung, oder aber sexueller/sich liebevoll darstellender emotionaler Missbrauch vorherrschten. Die wiederholt erlebte seelische Vernichtungsdrohung wird gewendet in Beherrschen und Auslöschen von allem Schwachen in sich, als letzte Überlebensstrategie wird das Schwache in sich auf andere projiziert, dort gehasst, zu beherrschen versucht und oftmals zerstört. Ausgehend vom Selbsthass wird so auch die Selbstauslöschung von Tätern erklärbar.
Herbert Rosenfeld hat den malignen Narzissmus als erster charakterisiert, und das Bild, das er für das zugehörige Seelenleben findet, ist erschreckend. Es sei wie ein Staat ohne Gesetze, es gelte nur das Recht des Stärkeren, es gebe keine Institutionen, die die eigenen Interessen vertreten oder schützen, in diesem zerfallenen Staat entstehen mafiöse Strukturen, deren gewalttätige Organisationsformen mehr Schutz geben als der Zustand davor, allerdings müsse man sich dem Diktator ganz verschreiben, es gebe kein Entrinnen und Abweichler werden getötet.
Entsprechend der geschilderten Dynamik ist auch die Psychotherapie mit solchen Störungen schwer bis unmöglich. Der Behandelnde wird attackiert, da er dem Schwachen in sich und in dem Patienten ein Lebensrecht zugesteht, aber wenn im Patienten eine Hoffnung vorhanden ist, dennoch nicht verlassen zu werden, kann diese gestärkt werden und er erfährt vom Gegenüber eine lange vermisste Treue zum liebesbedürftigen Teil im Patienten, die die oft destruktiven Kämpfe in der Behandlung aushaltbar machen können. Müller fasst dies zusammen in der Aussage, Hass bindet mit gleicher Kraft wie Liebe.
Nach dem Hören des Vortrags könnte man für die Betrachtung von Attentaten schlussfolgern, dass Menschen mit einem maligne-narzisstischen Hintergrund sich dessen bedienen, was ihnen die Gesellschaft an Wegen bietet, ihre Fremdherrschaft auszuüben, oder wie Carolin Emcke schreibt, Hass braucht vorgeprägte Muster, in die er sich ausschüttet. Diese Muster aufmerksam zu verfolgen und versuchen zu ändern ist ein wichtiger Schritt der Bekämpfung. Ebenso erschien mir aber die Formulierung beachtenswert, „der Schwäche in sich ein Lebensrecht zugestehen“ und „die Treue zum liebebedürftigen Teil anzubieten“. Übertragen kann das heißen, z.B. zur ‚Schwachheit‘ der menschlichen Grundhaltung zu stehen, Ertrinkende im Meer retten zu wollen. Oder in offenen sozialen Räumen Stärke und Schwäche gleichberechtigt darzustellen. Oder zur Schwäche der Demokratie zu stehen: In ihr kann nicht stark oder auch despotisch geherrscht werden, sondern es müssen schwierige Kompromisse unterschiedlicher Interessen in langwierigen Prozessen ausgehandelt werden.
Umgang mit Schwäche im öffentlichen Raum muss in diesem Sinne nicht eine Einladung zur Täterschaft sein. Man wird das Bild von Jacinda Ardern, Premierministerin von Neuseeland, lange nicht vergessen, wie sie 2019 mit Kopftuch den Opfern des Attentats in Christchurch ihr Beileid und ihre Unterstützung zeigte. Keine narzisstische Zufuhr der Täter und Gleichgesinnter durch ausführliche Berichterstattung, sondern konsequente „Treue zum liebedürftigen Teil“, nicht im Täter, sondern in den Trauernden. Und damit der Schwäche ein Lebensrecht zugestehen.
Der Beitrag von Jakob Müller findet sich hier, er ist Teil der Podcast-Reihe „Rätsel des Unbewussten“. Herbert Rosenfelds grundlegenden Aufsatz findet man hier, einen Beitrag zum Narzissmus von Jakob Müller hier. Eventuell ergänzend zu psychoanalytischen Überlegungen bezogen auf gesellschaftliche Prozesse Georg Seeßlens Beitrag zum Anschlag in Hanau bei ZEIT online hier. Carolin Emckes Buch „Gegen des Hass“ von 2016 kann man hier erwerben.
Die Abbildung zeigt die überdimensionale Stahl-Skulptur von Mia Florentine Weiss vor dem Senckenberg Museum in Frankfurt/Main, Love von einer Seite, Hate von der anderen Seite (2015).