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„Der Panama-Hut oder Was einen guten Therapeuten ausmacht“ – ein Buch von Irvin D. Yalom

Ein guter Therapeut sollte handeln, Fehler eingestehen, eine Diagnose vermeiden, die eigenen Probleme offen benennen und Hausbesuche machen? Da regt sich Widerspruch, und das ist für mich eins der Hauptargumente, dieses Buch zu lesen – außer den vielen Beispielen und der unzweifelhaft großen literarischen Kompetenz des Autors. Eine Zusammenstellung von 85 Ratschlägen (plus Anhang) ist schon an sich eine Provokation, denn sowohl Konzepte über das Entstehen von Störungsbildern als auch Behandlungskonzepte findet man selten in dieser Form. Aber ein lebenserfahrener Psychiater und Psychotherapeut kann und darf sich seinem Thema ungebunden nähern. Dies trägt zur guten Lesbarkeit bei, enthebt einen aber nicht vom Nachdenken und Vergleichen mit der eigenen Arbeitsweise.

Manches ist nicht neu, zum Beispiel dass sich durch therapeutisches Handeln eine andere als die beabsichtigte Wirkung einstellt, dies aber sehr fruchtbar sein kann. Einer Trost benötigenden Patientin bot Yalom an, ihre Sitzung auf einen Zeitpunkt zu verschieben, an dem sie nicht von ihrer Arbeit freinehmen müsse, damit sie es leichter habe. Die Patientin dagegen fühlte sich dadurch abgelehnt und war überzeugt davon, dass die Stunden mit ihr der Tiefpunkt seiner Woche seien. Die Gespräche wurden dadurch aber „auf das fruchtbare Terrain ihrer eigenen Selbstverachtung und der Projektion ihres Selbsthasses“ auf den Therapeuten geführt.

Manches wird kurz und knackig geschrieben, manches nimmt viel Raum ein, wie der Umgang mit Träumen, die der Autor vorschlägt zu „plündern“, also das zu entnehmen, was zeitlich und thematisch am besten zu gebrauchen ist. Grundsätzlich aber ist die reflektierende Ebene immer enthalten, also Ratschläge werden begründet und diskutiert. Und dies geschieht auch bei der Lektüre: man blättert herum, liest sich fest, findet eigene `Regeln`wieder, man lehnt etwas ab, denkt nach und positioniert sich neu. Oder man genießt die Bearbeitung eines nur allzu bekannten Themas: Wie gehe ich mit verliebten Patient/innen um? Man möchte nicht zum „Henker der Liebe werden“, man weiß aber um die Verfallzeit des Verliebtseingefühls. Yaloms ausführlicher Ratschlag dazu zentriert sich um das „behutsame Entwickeln einer langfristigen Perspektive“, ohne in Kritik an dem „goldenen Gefühl“ des Verliebtseins zu verfallen.

Schwierig ist es, dass Yalom als jemand auftritt, der sehr überzeugt von sich und seinen Fähigkeiten ist und dies in bewundernswerter sprachlicher Kompetenz darzustellen weiß. Dennoch fühlte ich mich – meist – nicht abgehängt oder überheblich behandelt. Dies könnte daran liegen, dass der Autor seine narzisstischen Tendenzen an einigen Stellen thematisiert, oder auch daran, dass für ihn glaubhaft die Menschen im Vordergrund stehen, die zu ihm kommen und an sich arbeiten möchten, sowie die Therapeuten, die sein Buch lesen und an sich arbeiten möchten.

Irvin D. Yalom (* 1931) war Professor für Psychiatrie an der Stanford University und hat zahlreiche Romane und Fachbücher veröffentlicht. Basis seiner intersubjektiven und psychodynamischen Herangehensweise ist die existenzielle Psychotherapie. Das empfohlene Buch ist 2002 unter dem Titel „The Gift of Therapy“ in New York erschienen und auf Deutsch im btb Verlag erschienen

Szenen aus Sitzungen mit Yalom werden von ihm besprochen und sind bei Youtube zum Beispiel hier zu finden.