Meine letzte Empfehlung an dieser Stelle galt einem filmischen Plädoyer für menschliche Bindungen als Basis für heilsame Veränderungen („Good Will Hunting“). Vielleicht geschah dies aus der pandemisch bedingten Situation heraus (November 2020, Lockdown light). Das Sars-2-Virus torpediert bekanntermaßen Kontakte unter Menschen, da es sich dadurch vermehrt und so für seine Wirte gefährlich wird, also vermissen wir alle das Miteinander und wünschen es uns zurück. Heute soll ein Film besprochen werden, der vor Augen führt, welches Gift sich in einem Menschen ausbreiten kann, wenn die prägenden Bindungen zu wenig Spielraum für eine eigenständige Entwicklung lassen.
Bei einer Filmanalyse ist für mich eine wesentliche Frage die, ob der Film in Inhalt und Form kongruent oder dissonant ist. Also ist der Film in Szenenaufbau, Montage, Text, Setting etc. so gestaltet, dass die Themen des Films analog ausgedrückt werden, oder entsteht eine Spannung durch Unterschiedlichkeit? Wenn die Netflix-Miniserie „Damengambit“ durch stilisiertes Produktionsdesign glänzt, so wird die Ödnis des Waisenhauslebens durch die Gegensätzlichkeit spürbar. Oder die schlammige Farbgebung und die spannungsreduzierte Musik im Film „Spotlight“ doppeln die Darstellung von nüchterner und mühsamer Journalistenarbeit. Auch die Wirkung eines Films im Erleben der Betrachter kann man bezüglich Kongruenz oder Dissonanz befragen, und das war für mich der Einstieg in die Empfehlung zu „Black Swan“. Meine auch beim dritten Anschauen wiederkehrende innere Ablehnung und Entwertung des Films war sehr hartnäckig: “Symbolhammerartige Verwendung von Schwarz und Weiß, Spiegelbilder, Doppelgänger, E.T.A. Hoffmann kann das besser etc..“ Bis ich bemerkte, dass sich unmittelbar Aspekte seines Themas in mir abgebildet hatten, insbesondere die hinter dem Perfektionsstreben der Hauptfigur liegenden Entwertungserlebnisse, die in mir durch Abwerten abgewehrt werden sollten. Der Film wurde auch von anderen als ein Sandwich angesehen, außen plakativer Horrorfilm, innen Analyse des Perfektionsstrebens. Und so kann er auf der ersten Ebene abgelehnt werden, um damit die zweite Ebene nicht zu spüren.
Erzählt wird vom Aufstieg der jungen Balletttänzerin Nina (Natalie Portman), die die Hauptrolle in Tschaikowskis „Schwanensee“ bekommen hat und damit in eine Spirale von Leistung und Perfektion gerät, die das Malträtieren ihres Körpers im Tanzen, aber auch in Selbstverletzungen steigert. Ohne ihren Körper jemals erotisch erlebt zu haben, wird sie von der Mutter (Barbara Hershey) als ihren Besitz behandelt, mal als Babypuppe, mal als erfolgreiche Tochter, die die eigenen Erfolgswünsche als gescheiterte Tänzerin erfüllen muss. Der Choreograph Thomas (Vincent Cassel) fordert, sie solle sich aus ihrer Perfektion lösen, um die schwarzen, verführerischen Seiten der Rolle ausfüllen zu können, und die Mittänzerin Lily (Mila Kunis) wird dafür zum Vorbild, was sie für Nina begehrenswert, aber auch zum Neidobjekt macht. Nina verliert schrittweise den Bezug zur Wirklichkeit, den Anforderungen der Entwicklung zu einer erwachsenen Frau ist sie kaum gewachsen und in ihrem großen Auftritt bringt sie ihre schwarze Seite hervor, aber verletzt sich dabei selbst so sehr, dass am Ende sowohl ihr Tod als auch ihr Weiterleben möglich erscheinen.
In „Black Swan“ wird mit den Methoden des Horrorgenres gearbeitet, es gibt Schreckmomente, Gänsehaut, Ekel, man sieht dunkle Schatten und sattes Blut, zweifelt an Identitäten und erkennt Teile der Filmhandlung als Halluzination. Es sind bekannte Schubladen, aber das Gesicht der Hauptfigur zeigt auch oft unvermittelt und authentisch das Innere eines Menschen, in dem die Sucht nach der Selbstquälerei am Körper mit dem Wunsch nach Lebendigkeit kämpft. Natalie Portman tanzte in ihrer Jugend, sie bereitete sich ein Jahr auf die Rolle vor und ihr Gesicht transportiert Erfolgsdruck, Hingabe, Sehnsüchte und Kindlichkeit, Verzweiflung und Lebenswillen, manchmal so intensiv, dass man irritiert ist und sich fragt, ob sie die Rolle verlassen hat.
Im Film gab es keine positive Identifizierungsangebote, keine Sympathieträger, keine tragfähige Hoffnung auf Weiterentwicklung, nur Beziehungen, in denen eigene Interessen durchgesetzt werden, nur Streben nach Perfektion und Abgleiten in Wahnsinn. Wenn es zu Selbstverletzungen bei seelischen Störungen kommt, so ist der Hintergrund oft, dass der eigene Körper als Ort für eine Auseinandersetzung herhalten muss, die anders nicht geführt werden kann. Die autoaggressiven Tendenzen zeigen die Wut gegen intrusive und/oder fehlende Bezugspersonen, die aber keine Ausdrucksformen innerhalb dieser Bindungen finden kann, sondern gegen das eigene Leben gerichtet wird. Freier werden kann die Entwicklung, wenn es zu einer reiferen erotischen Beziehung kommt, hier wartet im Film allerdings nur der mit seiner Primaballerina Erfolg suchende Choreograph, der seine ‚Objekte‘ gerne „meine kleine Prinzessin“ nennt. Ein Silberstreifen am Horizont ist Ninas Zweitbesetzung Lily, die feiert und genießt, wütend und mitfühlend sein kann und Freundschaftsangebote macht. Nina halluziniert gegen Ende des Films, dass sie Lily tötet, stößt aber sich selbst die Spiegelscherbe in den Bauch. Sie tötet die Lily in sich, damit sie ihr perfektes Ziel erreicht. Der Grundkonflikt zwischen lebendiger Anteilnahme und todesnaher Perfektion wird vom Regisseur am Ende nicht aufgelöst und läßt damit die Seele entweder resigniert oder kämpferisch fürs Leben zurück.
Wie immer fehlen in meinem Beitrag zu diesem Film einige Aspekte. So könnte man über die Rolle der Mutter diskutieren, die sicher psychologisch vereinfacht angelegt ist, ebenso über die Doppelgängerthematik und die Farbsymbolik des Films. Auch Rezensionen sind lesenswert, spiegeln sie doch die Breite der Wirkung eines Werks. Andreas Borcholte spürt im Spiegel die Intensität der Bilder, ordnet den Film in Aronofskys Werkreihe ein und konstatiert ein Verwischen zwischen Realität und Leinwandgeschehen, analog zu den im Film dargestellten Grenzverwischungen und für Rabea Weihser in der ZEIT ist es ein „Strumpfhosenthriller“, der von der Hauptdarstellerin gerettet wird.
„Black Swan“ (2010) von Darren Aronofsky kann man für wenig Geld bei medimops kaufen, Natalie Portman bekam für ihren Rolle den Golden Globe und den Oscar (und sie fand bei den Dreharbeiten ihren Ehemann).