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„The Favourite“ – ein Film von Giorgos Lanthimos

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Bild: 20th Century Fox

Machtverhältnisse in Liebesbeziehungen ist eins der ältesten Themen überhaupt. Es wäre ethisch fragwürdig in einem wissenschaftlichen Experiment zu untersuchen, wie sich die Verflechtungen von Liebe und Macht auswirken. Lanthimos aber führt in seinem Film eine Art Untersuchung zu diesem Thema durch, indem er drei Frauen (und um diese herum mehrere, eher unwichtige Männer) unter den Bedingungen eines mächtigen Hofstaats Anfang des 18. Jahrhunderts beobachtet.  Geht Liebe unter einem absolutistischen Himmel? Werden Menschen in ihren Liebesbeziehungen so, wie der politische und soziale Rahmen es vorgibt?

The Favourite, übersetzbar mit ‚die Begünstigte‘, ist ein Film über drei Frauen, Queen Anne, ihre einflussreiche Vertraute am Hof Lady Sarah Churchill und Abigail Masham, anfangs Zofe, die im Laufe des Films Sarahs Position am Hof einnimmt. Die Rahmenhandlung umfasst die politischen Machtspiele rund um den europäischen Krieg gegen Frankreich, die sich bekämpfenden und intrigierenden Fraktionen des Parlamentes und die barocken Lebensverhältnisse am englischen Hof zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Queen Anne (Olivia Colman) erscheint im Film leidend, nach Liebe gierend, traumatisiert von 17 toten Kindern und schwankend zwischen Berechnung und Hilflosigkeit. Ihre Vertraute Sarah (Rachel Weisz) wird gezeigt als klug, politisch einflussreich und sich ihrer Macht bewusst, aber auch zweifelnd zwischen Erpressung und Sehnsucht nach tieferer Verbindung. Die zunächst als Dienerin an den Hof gelangende Abigail (Emma Stone) verliert im Laufe der Entwicklung ihre anfängliche Naivität und reiht sich ein in den um das Machtvakuum an der Spitze tanzenden Hofstaat. Der Film überschreitet dabei in ansteigendem Rhythmus visuelle Schmerzgrade, er kontrastiert Barockmusik mit minimalistisch reduzierter Melodie und durchzieht alles mit einem grotesken Unterton. Am Ende ist Sarah verbannt und Anne und Abigail verbleiben in einer innerlich entleerten Hassliebe am Hof.

Das Thema Dominieren und Unterwerfen in Liebesbeziehungen wird in vielen Varianten gezeigt. Man sieht, wie die neu am Hof ankommende Abigail zunächst im Dreck landet und wie sie schnell lernt, nach oben zu kommen. Sie setzt ihren Körper ein, sie bemerkt die Bedürftigkeit der Queen und bietet sich als mitfühlende Gesprächspartnerin an, sie beginnt Politiker, die sie zunächst kontrollieren, umzudrehen und für ihre Zwecke zu benutzen und am Ende gelingt es ihr, die Konkurrentin auszuschalten. Zuneigung, Interesse und Empathie ihrerseits wird dabei immer mehr erkennbar als eine Hülle, in der das Erreichen von ehrgeizigen Machtzielen verborgen ist. Dagegen verliert die anfangs mächtige Sarah im Laufe der Zeit ihre Position. Sie war mit allen Winkeln der Persönlichkeit von Anne vertraut und fühlte sich dadurch sicher, aber auch etwas müde im Spiel des Beherrschens. Die auftauchende Konkurrentin wiederbelebt diese Seite in ihr, herausgefordert wird sie einfallsreich im Kampf, aber unterliegt. Der Film deutet an, dass Anne für sie mehr als reines Objekt war, und dass diese empathische Seite an ihrer Niederlage beteiligt war. Am Ende bleibt die Frage offen, ob der Ausstieg aus den quälerischen Machtspielen nicht auch ein Gewinn für sie war.

Queen Anne ist als Zentrum des Hofes die Spitze der Dreiecksbeziehung. Sie trägt in sich die absolute Macht einer Herrscherin ihrer Zeit, aber oft wirkt sie, als habe sie nicht die Kompetenzen diese zu gebrauchen. Ihre kognitive Begrenztheit, ihre körperlichen Einschränkungen und ihre Verlorenheit steigern sich oftmals ins Groteske. Ihre Mechanismen um in der Welt der Politik zu überleben, sind Anlehnen (an Untergebene), Sich-Fallen-Lassen (z.B. in Ohnmacht) und an Fallbeile erinnernde Befehle als kindlich wirkende Machtdemonstrationen. Im Film erhält sie gestalterisch die Aufgabe der Mitte des Bildes. Sie ist einerseits unschuldig, da sie ohne wählen zu können ihre Rolle am Hof erhält, andererseits perfektioniert sie sich selbst und übt die Basismechanismen von Kontrolle in Beziehungen aus, wie Erpressen, unterschwelligen Druck ausüben, Stimmungsumschwünge inszenieren, Sich-Unterwerfen, um die anderen zu beeinflussen, reale Macht ausspielen, drohen. Lanthimos nimmt sich viel Raum im Film, um Anne in ihrer Komplexität zu zeigen, so dass man sich einfühlen kann, aber gerahmt wird Annes Entwicklung durch hoffnungslose Zwangsläufigkeit. Entkommen kann sie den Vorgaben der Zeit nicht, und man bleibt nach dem Film mit der beunruhigenden Erkenntnis zurück, dass für sie nichts anderes möglich ist als Herrscherin zu werden und zu bleiben.

Lanthimos ist ein Regisseur der interpersonellen Kämpfe, eine Analytiker enger und zu enger Bindungen und der Bedingungen, unter denen diese sich in Zerstörung verkehren. In diesem Film inszeniert er das Thema Macht und Liebe in mitreißenden und abstoßenden, aber auch komischen Bilder. Er findet symbolische Szenen, wie einen mehrmals gezeigten Schieß-Wettbewerb zwischen den Konkurrentinnen Abigail und Sarah oder wenn Abigail wiederholt in den Dreck gestossen wird, steht dies für den rücksichtslosen Aufstiegswillen aus niederer Herkunft. Gift in Beziehungen wird ausgedrückt durch Annes Gichtanfälle, die wiederum von ihr instrumentalisiert werden, um Sarah oder Anne körperlich an sich zu binden. Annes Rollstuhlfahrten in den langen Gängen des Schlosses stehen für die Einschränkungen der seelischen Beweglichkeit der Figuren und ihre rasanten Fahrten innerhalb der Machtkämpfe.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich auffällige, explizit filmische Gestaltungsmittel. Es gibt viele Szenen, die mit der Kamera tief unten und/oder mit einem Fischauge-Objektiv aufgenommen wurde. So muss manchmal unvermittelt der Boden als Position eingenommen werden, was Unterlegenheit spürbar werden lässt. Oder die Wahrnehmung erscheint in gleicher Weise verzerrt, so wie die Wahrnehmung in einem von Zwang, Kontrolle, Machtfülle und Enthemmung bestimmten Lebenswelt es erwarten lässt. Die rasant in alle möglichen Richtungen geschwenkte Kamera wiederum zeigt inneren Aufruhr gegen die Zwänge der aktuell bestehenden Lebensformen als auch die Desorientierung, die die Zustände am Hof mit sich bringen. 

Die markanteste bildhafte Verdichtung gelang dem Film in den 17 Kaninchen, die Anne als Haustiere hält und die für ihre verstorbenen Kinder stehen, sie haben Namen und werden königlich versorgt. Auch sind sie ein Lackmustest für Nähe, den Abigail besser besteht als Sarah. Sie versteht die Symbolik und kümmert sich anfangs rührend um die Kaninchen, was sich aber im Laufe des Films als eine Strategie entpuppt. Die Schlussszene des Films bringt die Kaninchen wieder ins Bild. Anne befiehlt Abigail ihr die Beine zu massieren, sie kniet vor ihr und Anne greift ihr ins Haar. Da Annes Beine nicht gezeigt werden, erinnern Bewegung und Haltung der beiden an eine Fellatio, ein in der männlich-dominierenden Variante bekanntes Bild. Ihre leeren Gesichter dabei sieht man, kaum aushaltbar, nacheinander in Nahaufnahme. Im nächsten Schritt überblenden die beiden Gesichter, kurz darauf kommen weitere Ebenen mit hoppelnden Kaninchen dazu, nacheinander verschwinden die Frauengesichter und die Kaninchen ins Schwarze. In den drei Minuten Filmende verdichtet sich Macht und Entleerung, aber auch die Wucht von Zerstörung (tote Kinder) und die sich dennoch vermehrende Lebendigkeit, aber gefangen in Kaninchenkörpern.

„The Favourite“ von Giorgos Lanthimos erschien 2019 und er war ein Erfolg bei Publikum und Kritik, man kann ihn bei Amazon Prime streamen oder hier günstig als DVD erwerben.