Filme und Serien

„Swan Song“ – ein Film von Benjamin Cleary

Veröffentlicht am
Bild: Apple TV

Am Jahresende wird man daran erinnert, dass im Leben ständig etwas zu Ende geht und etwas Neues beginnt, Verlust und Neuanfang sind wie eine sich in den Schwanz beißende Schlange. Wenn allerdings ein nahestehender Mensch stirbt, verliert man manchmal den zuversichtlichen Blick auf diesen Zusammenhang. Vielen Betroffenen fällt es schwer mit Hilflosigkeit, Trauer und Schmerz umzugehen. Oft fühlt es sich an wie eine Bootstour ohne Steuermann und Kompass, mit ungleichmäßig belasteten Seiten und rutschigem Boden, mit wechselnden Wetter und Untiefen. In kulturellen Produktionen, die ja der Gegenstand dieses Blogs sind, wird dieses Thema, wie flächendeckend in der westlichen Kultur, meist wenig thematisiert. Einen sehenswerten Beitrag dazu liefert der Film „Swan Song“ von Benjamin Cleary, eine Apple-TV-Produktion von 2021.

In einer nicht allzu fernen Zukunft wird die Geschichte Cameron Turners erzählt, der unheilbar erkrankt ist. Er beauftragt ein Unternehmen einen perfekten Replikanten zu erstellen (im Film Jack benannt), der unbemerkt von seiner ahnungslosen Familie seinen Platz einnehmen soll. Verbunden ist dieser Transfer mit einer Übergangszeit, in der Cameron seine Erinnerungen zur Verfügung stellt und Jack beim Einfinden in sein eigenes Leben beobachten kann. Cameron setzt dies in Gang, da er seiner Frau Poppy und seinem Sohn Leid ersparen möchte, denn Poppy hat vor einer Weile ihren geliebten Zwillingsbruder André durch einen Unfall verloren und ihre schmerzvolle Trauer machte Cameron stumm und hilflos. Nach vielen Zweifeln und Krisen im Übergangsprozess nimmt am Ende Jack Camerons Platz ein und die Technologie sorgt letztendlich dafür, dass das Duplikat vollständig vergisst, wie es entstanden ist. Der Film zeigt ineinander verschlungen den Beginn und die Vertiefung der Bindung zwischen dem Ehepaar, das Loslassen von Cameron und das Hineinwachsen des Anderen in sein neues Leben. Es ist ein ruhiger Film, der der Allgegenwart des Todes eine wunderbare Liebesgeschichte entgegensetzt.

Zunächst beeindruckend als Gestaltungsmittel des Films sind die Ruhe, das reduzierte, oft blaue Licht, die karge Architektur, die leeren Räume, die gewaltige (kanadische) Landschaft, der hyperreale Wald, die magnetische Klaviermusik (Jay Wadley). Zusammen mit der Tatsache, dass „Swan Song“ ein Science-Fiction Film ist, der unsere Gegenwart in wenigen, aber wichtigen Aspekten verändert zeigt, dies aber unerklärt lässt, entsteht eine Gefühl von Zeitlosigkeit. Als wäre man ungebunden, aber auch verloren, was unschwer als Anspielung auf Kennzeichen des Todes zu erkennen ist. Die andere Ebene des Films dagegen, fein und pointiert verwoben mit den bleiernen Todesanmutungen, erzählt von Verlieben, Gebären, Sterben und damit den historischen, den zeitgebundenen und diesseitigen Kennzeichen eines Menschenleben. Wie sich Cameron und Poppy kennenlernen, ist eine spielerisch-zarte Episode, das Schmuckstück des Films, zugleich herzzerreißend und hoffnungsvoll. Auch der Unfalltod von Poppys Zwillingsbruder André wird in seinen Folgen für die beiden erzählt, mit Schmerz, Sprachlosigkeit und Camerons Alpträumen. Und nicht zuletzt gibt es die Geschichte des Transfers von Cameron zu seinem Duplikat, die mit Zärtlichkeit und Streit, mit Berührungen, Wehmut und Abschiednehmen einhergeht.

Für meine Empfehlung des Films war ausschlaggebend, dass er in Bildern und im Kopf des Protagonisten, als ein Verstehender, zeigt, wie wichtig es für eine innere Veränderung ist, wenn man mit anderen Menschen über schwierige Themen und Probleme, aber auch einfach über sein inneres Erleben ins Gespräch kommt. Und dabei kann ebenfalls hilfreich sein, sich den eigenen Erinnerungen zu überlassen und diese mit anderen zu teilen. Auf dem Hintergrund von Camerons nie bearbeiteter Trennungserfahrung in der Kindheit, war die Trauer seiner Ehefrau über den Tod ihres Bruders für ihn nicht greifbar und nicht kommunizierbar. Poppy geht schließlich zur Psychotherapie, sie begibt sich auf den langen Weg der Veränderung, wird schwanger und sieht dem freudig entgegen. Cameron aber nimmt nicht wirklich daran teil, er erkrankt und verheimlicht dies seiner Frau. Die Erschaffung eines Doppelgängers soll ihr die Wiederholung des Leids ersparen, Opfern und Nicht-Sprechen erscheint für Cameron als der einzige Weg aus der sprachlos verfahrenen Situation heraus. Die Selbstopferung von Cameron bezieht sich nicht nur auf das körperliche Leben, darauf, dass er Poppy Leid erspart und dies auf sich nimmt (ein christliches Motiv), sondern auch darauf, dass seine Umgangsform mit dem Tod sich als nicht tragfähig erweisen hat. Jack dagegen, der mit dessen Erinnerungen allmählich zu Cameron wird, findet sich in diesem Prozess neu, er macht vieles anders als der alte Cameron. Er spricht mit seiner Frau, er nimmt ihre Angebote an, und er beschäftigt sich mit seinen/Camerons Alpträumen über den Tod von Andrè, erzählt sie, zeichnet sie und schenkt seiner Frau dieses Bild. Als die Zeichnung gerahmt an der Wand hängt, erhält das Nicht-Gesprochene einen Platz im Heim der neuen Beziehung.

Benjamin Cleary ist ein junger irischer Regisseur, der in zeitgenössischer Art das Doppelgänger-Motiv einsetzt, als ein bekanntes Science-Fiction-Element. Die starke Spannung des Films rührt aber daher, dass Jack als Camerons Duplikat die Funktion übernimmt, die schon viele vergleichbare Figuren in der Literatur übernommen haben. Sie sind ein Reservoir für Fremdes, Unbekanntes und Schwieriges im eigenen Selbst, beide sind zwei Seiten einer Persönlichkeit. Jack steht für einen Neuanfang aus den abgewehrten Anteilen Camerons, aus seinen ungreifbaren und unbesprochenen leidvollen Erfahrungen und seinen nicht gelebten Wünschen und Fähigkeiten. Metaphorisch kann der Doppelgänger als das im Selbst hergestellte Unbewusste gesehen werden, und die Beziehung zwischen Cameron und Jack demnach als ein Prozess der Auseinandersetzung mit sich selbst. Dazu gehören auch die Fragen, wer man in seinen Augen und den Augen anderer ist, ob man noch „Ich“ sein kann, wenn man seine Familie verlässt und stirbt, wenn man vieles verheimlicht oder sich opfert. Klassischerweise kann der Doppelgänger als Reflexion der eigenen Identität gesehen werden, tiefenpsychologisch als Schatten, der unbewusste Anteile spiegelt und damit das Selbstverständnis in Frage stellt.

Den Aspekt der Sprachlosigkeit versinnbildlicht der Film in der mehrmals einsetzenden vollständigen Tonlosigkeit, ein Verstummen des Mediums, erinnernd an die Ursprünge als Stummfilm und wiederum verweisend auf den Tod. Auch verschiedene Trauerphasen sind im Film dargestellt, Wut, Depression, Verleugnung, Akzeptanz, verteilt auf unterschiedliche Personen. Eine herausragende Rolle spielt Mahershala Ali in der Doppelrolle als Cameron und Jack, sein Gesicht ist tragend im Ausdruck vielfältiger seelischer Zustände. Eine ausführliche Filmanalyse müsste auch die Rolle von Dr. Scott (Glenn Close) als Vertreterin des duplizierenden Unternehmens einbeziehen, eine Art Charon, also Fährmann der griechischen Unterwelt, der die Verstorbenen ins Totenreich bringt. Sie lockt, treibt an, begleitet, wirkt unheimlich, mütterlich oder auch zwiespältig. Oder die Doppelung der Beziehung von Cameron und Poppy in der Beziehung zwischen Cameron und Kate, die sich ebenfalls hat ersetzen lassen und im Laufe des Films stirbt. Cameron und Kate sprechen miteinander über das Sterben, was ihm mit seiner Frau nicht möglich war, und er begleitet sie in den Tod, was er seiner Frau nicht zumuten wollte beziehungsweise nicht gestattet hat.

Den Film „Swan Song“ kann man bei Apple TV streamen, der Regisseur Benjamin Cleary schrieb auch das Drehbuch. Er bekam 2016 einen Oscar für seinen ersten Kurzfilm „Stutterer“, eine berührende Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Menschen, deren Kommunikationsfähigkeiten eingeschränkt sind (Stottern und Gehörlosigkeit). Axel Weidemanns Besprechung bei FAZ online ist lesenswert, er sieht ebenfalls den Kern des Films in der Auseinandersetzung mit dem Tod.

Forschung

„Die Palliativversorgung in Deutschland“ – ein Vortrag von Lukas Radbruch

Veröffentlicht am
© Edith Buchhalter 2019

Niemand hat den Tod erlebt und könnte davon berichten, aber jeder Mensch weiß, dass er sterben wird. Diese Leerstellenparadoxie der menschlichen Existenz wird gefüllt mit Ritualen, besonderen Umgangsweisen und Szenerien, mit spezieller Musik und mit der Gestaltung bestimmter Orte. Aber der Sterbeprozess als wissenschaftliches Thema ist in der heutigen Gesellschaft, in der Selbstoptimierung und Technisierung vorherrschen, eher ungewöhnlich. Immer noch sprechen Menschen nicht gerne über das Sterben, obwohl es laut einer Studie des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbandes bei einem großen Teil der Bevölkerung den Wunsch nach mehr Informationen zu und einer intensiveren Beschäftigung mit dem Thema gibt. Ein weiterer Blogbeitrag zum Sterben (nach diesem) erschien mir deshalb folgerichtig, auch, um das Thema in mein eigenes Leben, Arbeiten und Denken zu integrieren.

Palliative Versorgung meint die ganzheitliche, aktive Betreuung von Menschen mit unbehandelbaren Krankheiten, um diesen ein würdiges Sterben zu ermöglichen. Lukas Radbruch beginnt seinen Vortrag mit vielen Informationen zum Begriff „Palliativmedizin“ und beschreibt die typische Arbeitsweise einschließlich vieler auftretender Probleme. Er ist Kliniker, und man merkt seinem Vortrag an, dass er seinen Arbeitsalltag auf einer Palliativstation verbringt und daher sehr lebendig, manchmal humorvoll, manchmal betroffen davon berichten kann.

Fasziniert hat mich beim Hören des Vortrags, wie Lukas Radbruch von medizinischen Informationen ausgehend immer mehr ganzheitliche und die gängige medizinische Auffassung verlassende Forschungsansätze präsentiert beziehungsweise verstärkt fordert. Ganz selbstverständlich wird z.B. beim Thema „Essen in der Sterbephase“ das kulturelle Bild von Versorgung als ein wesentlicher Faktor angesehen. So können viele Menschen in dieser Phase körperlich keine Nahrung mehr verwerten, aber die Freiheit, nicht mehr zu essen, muss erstritten werden gegen die gängige Vorstellung, man müsse doch essen, um zu Kräften zu kommen. Andererseits wird ein schwer verträgliches, fetthaltiges Essen, bei dem sofortiges Übergeben erwartet wird, genussvoll vertragen, da es von der Mutter zubereitet wurde. Hier wird die bedeutsame Beziehung zur Mutter selbstverständlich als Wirkfaktor angesehen. Entsprechend dieser Haltung werden Studien gefordert, in denen interdisziplinäre Strukturen zum Zuge kommen, mit sozial-, geistes- human- und naturwissenschaftlichen Ansätzen sowie Erforschung der Angehörigenbetreuung.

Berichtet wird auch von einer europaweiten empirischen Studie zum assistierten Suizid, in der übereinstimmend die Haltung vertreten wird, diesen nicht in die palliative Versorgung zu integrieren, sondern als ein konkurrierendes Angebot zu verstehen (in den Ländern, in denen das rechtlich möglich ist). Wichtig an dieser Stelle war für mich, dass Radbruch empfiehlt, wenn ein Patient einen Sterbewunsch äußert, zunächst nach der Motivation zu fragen, denn meist erwarten die Patienten in dieser Situation nicht mehr, als dass man ihnen zuhört und sie ernst nimmt. Das klingt einfach, ist aber weder im Berufsverständnis eines Arztes noch im Stationsalltag verankert. Wenn der betreuende Arzt überhaupt Zeit hat, will er oft den Sterbewunsch nicht hören, da er meint sonst den Psychiater rufen zu müssen. Radbruch aber hebt hervor, dass es in den Situationen meist eher um Akzeptanz für die aktuellen Empfindungen des Patienten geht, um Informationen zu Alternativen wie Symptomkontrolle und Sedationsmöglichkeiten und zu der Option, Flüssigkeit und Nahrung zu verweigern. Oder einfach darum aktuell die Sicherheit zu spüren, für einen späteren, schlimmeren Zustand noch etwas in der Hinterhand zu haben.

Vieles, was angesprochen wird, kann im Zusammenhang gesehen werden mit der in unserer Gesellschaft vorherrschenden Verdrängung von Tod und Sterben. Radbruch pointiert dies in der Frage, ob das Auto des Bestatters in einer Klinik die Toten am Hintereingang abholen muss, oder ob es am Haupteingang vorfahren darf. „Wer bei uns zum Haupteingang hereinkommt, soll dort auch wieder hinauskommen“, ist seine Meinung dazu.

Lukas Radbruch ist Professor für Palliativmedizin in Bonn und der Vortrag wurde 2018 gehalten während der Jahrestagung der Leopoldina, der Nationalen Akademie für Wissenschaften, zu finden hier (ab Minute 26) bei DLF Nova Hörsaal. Hier findet man einen weiteren Vortrag von Lukas Radbruch mit einer Fülle an medizinischen und klinischen Informationen rund um das Thema Sterben, der Titel lautet: „Wie ein Arzt das Sterben erlebt“.

An dieser Stelle möchte ich aus psychodynamischer Sicht den Band „Forum der Psychoanalyse“ 35/2019 empfehlen: „Zur Psychoanalyse des Alterns und Sterbens“, mit Beiträgen von Michael Ermann, Jakob Müller/Cecilie Loetz und anderen, hier kann man das Editorial von Timo Storck lesen.